Bürgerdialog „Pflege am Wendepunkt?“ – Landrat diskutiert Herausforderungen für die Pflege
Die Bevölkerung wird zunehmend älter: Bereits jetzt sind etwa 20 % der Bewohner über 65 Jahre alt – und dieser Anteil wächst weiter. Damit steigt auch der Bedarf an Pflegeleistungen, während der Fachkräftemangel in der Pflegebranche trotz deutlicher Steigerung der finanziellen Attraktivität immer spürbarer wird. Die Belastungen für Pflegekassen und Sozialsysteme nehmen zu, was die Bedeutung einer frühzeitigen Strategie zur Verbesserung der Pflegeinfrastruktur unterstreicht.
Im Mittelpunkt des Abends stand der Vortrag von Prof. Dr. habil. Thomas Klie, der die Ergebnisse des bayernweiten Monitorings zum Pflegepersonalbedarf 2023 präsentierte. Die von der Vereinigung der Pflegenden in Bayern (VdPB) in Auftrag gegebene Studie liefert umfassende Einblicke in die Pflegeinfrastruktur, die Beschäftigungssituation und den Qualifizierungsbedarf in Bayern. Besonders betont wurden die regionalen Bedürfnisse und Herausforderungen des Landkreises Dachau auch im Vergleich zu anderen Landkreisen.
Prof. Klie wies darauf hin, dass die Pflege immer mehr in den Fokus der Gesellschaft rückt und nicht mehr als Tabu oder schambehaftet betrachtet wird. Dies führt auch zu einer stärkeren Nutzung von Pflegegeldern und Zuschüssen sowie Beratungs- und Unterstützungsangeboten, obwohl die Anzahl der Pflegebedürftigen insgesamt stabil bleibt. Er zeigte zudem die Problematik des Fachkräftemangels auf: Ab 2028 wird es mehr Menschen geben, die aufgrund ihres Alters aus den Pflegeberufen aussteigen, als neue Fachkräfte hinzukommen.
Ein zentrales Problem sei, dass der Pflegealltag zunehmend von Verwaltungs- und Dokumentationsaufgaben geprägt sei, wodurch Fachkräfte weniger Zeit für die eigentliche Pflege hätten. Klie plädierte dafür, diese Aufgaben besser zu verteilen, sodass Fachkräfte sich wieder verstärkt auf die Pflege konzentrieren können. Aktuell mache jede Fachkraft alles. Die Strukturierung der Pflegeaufgaben und die kompetenzorientierte Zuordnung von Aufgaben wird daher künftig immer wichtiger.
In der anschließenden Podiumsdiskussion tauschten sich Expertinnen und Experten, mit den gut 50 Besucherinnen und Besuchern über mögliche Lösungsansätze aus. Neben Prof. Klie nahmen auch MdL Bernhard Seidenath als lokaler Stimmkreisabgeordneter und Gesundheitsexperte, Nina Fuchs (Leiterin des Pflegeheims Wollomoos) sowie Angela Hansmann-Goertz (ehem. Schulleiterin der Berufsfachschule für Pflege und Altenpflegehilfe des Franziskuswerks) an der Diskussion teil. Aber auch im Publikum waren viele Akteure der Pflegelandschaft im Landkreis Dachau anwesend. Themen wie die Verbesserung der häuslichen Pflege, die Entlastung pflegender Angehöriger und die Notwendigkeit einer breiteren Unterstützung durch die Politik standen im Fokus. Besonders hervorgehoben wurde die Notwendigkeit einer Anpassung des Entlastungsbetrags für pflegende Angehörige, der seit 2017 nicht erhöht wurde.
Landrat Stefan Löwl fasste die wichtigsten Punkte zusammen: „Der Status des Pflegeberufs muss weiter aufgewertet werden. Der Beruf gibt viel zurück und ist ein sozialkritisch wichtiger Baustein unserer Gesellschaft.“ Gleichzeitig wies Löwl darauf hin, dass es unwahrscheinlich sei, in naher Zukunft mehr Pflegepersonal zu gewinnen. Stattdessen müsse mit den vorhandenen Fachkräften eine Neustrukturierung erfolgen, um den steigenden Bedarf zu bewältigen. Auch die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland sei eine wichtige, aber begrenzte Ressource, da strukturelle Barrieren noch immer sehr hoch sind.
Nina Fuchs betonte, dass Personen, die in der Pflege arbeiten wollen, auch die Möglichkeit dazu bekommen sollten. Eine besondere Herausforderung sei die Kurzzeitpflege, die pflegende Angehörige entlasten könnte, wofür jedoch mehr Plätze geschaffen werden müssten. Dr. Hansmann-Goertz unterstrich abschließend, dass die aktuellen Strukturen der Pflegeausbildung angesichts der kommenden Herausforderungen nicht länger tragfähig seien. Es sei dringend notwendig, die Pflegebranche neu zu denken und zu gestalten.
Der Bürgerdialog verdeutlichte, dass in der Pflege tiefgreifende Veränderungen notwendig sind. Diese Veränderungen erfordern nicht nur neue Konzepte, sondern vor allem die enge Zusammenarbeit aller Akteure im Landkreis – von Pflegeeinrichtungen über pflegende Angehörige bis hin zu Bildungsträgern. Auch die Unterstützung und Mitwirkung der Politik auf Landes- und Bundesebene ist entscheidend, um langfristige und nachhaltige Lösungen zu finden. Nur gemeinsam können die anstehenden Herausforderungen bewältigt und eine zukunftsfähige Pflegeinfrastruktur geschaffen werden.