Koordinierungsgruppe Pandemie tagt: Vorbereitungen für den Herbst laufen an
Nach gut einem Jahr mit regelmäßigen virtuellen Konferenzen, tagte die Koordinierungsgruppe Pandemie am Mittwoch den 13. Juli 2022 erstmalig wieder im großen Sitzungssaal des Landratsamtes. Unter der Leitung von Landrat Stefan Löwl treffen sich regelmäßig etwa 40 lokalen Expert:innen aus Gesundheitsamt, Kliniken und Pflege- sowie Behinderteneinrichtungen, niedergelassenen Ärzten, Rettungsdienst, Feuerwehr und Polizei, Apotheken, ambulanter Palliativversorgung sowie Fachbereichen des Landratsamtes, Gemeinden, Schulamt und den beiden Impfzentren.
Ein besonderer Blick lag auf der aktuellen Situation im Landkreis: War die Inzidenz im letzten Jahr Mitte Juli bei 2,6 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von 7 Tagen mit einer massiven Grundimmunisierungskampagne der Bürger:innen, steigen die Zahlen aktuell wieder deutlich an. Diese Entwicklung bereitet den Expert:innen Sorge, insbesondere mit Blick auf den kommenden Herbst.
In einem kurzen Lagebericht gab die Leiterin des Dachauer Gesundheitsamtes, Frau Dr. Monika Baumgartner-Schneider, die Situation wieder: Derzeit steigt die 7-Tage-Inzidenz im Landkreis wieder deutlich an und liegt aktuell bei über 1.000, Tendenz weiter steigend. Dabei geht das Gesundheitsamt von einer großen Untererfassung aus. Alle Anwesenden teilen die Einschätzung des RKIs und gehen davon aus, dass die tatsächliche Inzidenz auch im Landkreis Dachau mindestens doppelt, wenn nicht sogar dreifach so hoch ist sein könnte. Dr. Monika Baumgartner-Schneider stellt klar: „Seit Juni steigt die 7-Tage-Inzidenz wieder deutlich an. Besonders hoch ist sie derzeit in der Altersgruppe der 19 bis 59-jährigen Bürger:innen. Dies ist durchaus nachvollziehbar, denn diese Gruppe ist aufgrund von Beruf und Freizeit viel unterwegs und hat daher auch viele Kontakte. Durch den Wegfall nahezu aller Beschränkungen und Regelungen gibt es derzeit in den meisten Bereichen praktisch keine Schutzmaßnahmen mehr.“ Ein lokaler Schwerpunkt oder ein direkter Zusammenhang zu speziellen Veranstaltungen (z.B. die Volksfeste in Indersdorf und Karlsfeld oder auch die zahlreichen Feiern in verschiedenen Gemeinden wie zuletzt in Haimhausen und Erdweg) lässt sich weder am Wohnort noch an den einzelnen Infizierten feststellen. „Die Möglichkeiten, sich anzustecken sind für die Bürger:innen aktuell sehr vielfältig und für das Gesundheitsamt oft schwer nachvollziehbar“, ergänzt Dr. Baumgartner-Schneider.
Um bestmöglich auf den Herbst vorbereitet zu sein, werden derzeit lokale Maßnahmen vorbereitet, denn – davon gehen die Expert:innen geschlossen aus – wird die Pandemie den Landkreis wieder fest im Griff haben. So ist das Gesundheitsamt derzeit in engem Austausch mit allen Senioren- und Pflegeeinrichtungen im Landkreis, um sowohl Hygiene- und Testkonzepte als auch das Management im Falle eines Ausbruchgeschehens zu besprechen und zu optimieren. Auch notwendige Auffrischungsimpfungen werden dabei thematisiert. Ziel ist es, gemeinsam den Schutz vulnerabler Personengruppen erfolgreich umzusetzen.
Der derzeit hohe Personalausfall aufgrund von Erkrankungen (nicht nur Corona) macht in allen Bereichen, auch im Rettungsdienst, den Kliniken und dem Gesundheitsamt, zu schaffen. Seit einigen Wochen arbeiten sämtliche Bereiche im Gesundheitswesen im Notbetrieb. Der BRK-Kreisgeschäftsführer, Dennis Behrendt fasst die Situation für alle zusammen: „Obwohl wir als BRK-Rettungsdienst im Landkreis Dachau grundsätzlich sehr stabil aufgestellt sind, arbeiten wir bereits jetzt am Limit und das mit dem Wissen, dass das Geschehen im Herbst definitiv noch intensiver wird.“ Landrat Stefan Löwl stellt hierzu besorgt fest: „Der Rettungsdienst wird durch die Krankenkassen finanziert und steht seit Jahren unter hohem Kostendruck, obwohl die Belastung sehr hoch ist. Es ist für mich z.B. vollkommen unverständlich, wie hier offenen Auges bei der personellen Ausstattung Engpässe generiert werden. So könnte das BRK zum Beispiel acht Notfallsanitäter pro Jahr auszubilden, bekommt jedoch aktuell nur sechs Ausbildungsplätze von den Krankenkassen genehmigt und finanziert. Und das, obwohl hier seit Jahren Schichten aufgrund von Personalmangel nur in der letzten Minute und durch hohes Engagement der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen besetzt werden können und es sogar viele Interessenten für den Beruf gibt.“
Alexander von Freyburg, Leiter der Nothilfe im Klinikum Dachau, machte einen Vergleich zum Vorjahr. Lag im letzten Jahr um diese Zeit ein Patient auf Normalstation und einer in der intensivmedizinischen Betreuung, sind es am 13. Juli 22 Patienten auf der Normalstation und zwei im Intensivmedizinischen Zentrum. Auch im Helios Amper-Klinikum ist seit gut zwei Wochen wieder ein Anstieg der Fallzahlen zu vermelden.
Besorgt sind auch die Hausärzte im Landkreis, denn im Vergleich zu den Vorjahren kommt derzeit - neben den Corona-Patienten - eine für die Jahreszeit ungewöhnlich hohe Zahl an Patienten mit anderen Atemwegsinfektionen in die Praxen. „In den letzten beiden Jahren haben wir Kontakte vermieden und uns mit Hygienemaßnahmen und Masken überall geschützt, daher fehlte das normale Training des Immunsystems und wir stehen den Infektionen ungeschützter gegenüber,“ erläutert Dr. Stephan Herf. „Unser körpereigene Schutz, unter anderem auch vor der Influenza oder anderen Erkrankungen, ist damit zurückgegangen. Damit kann uns neben einer neuen Corona Variante diesen Herbst auch die Grippe deutlich stärker als in den vergangenen Jahren zu schaffen machen.“ Alle Ärzte appellieren, die Impfungangebote wo immer möglich zu nutzen und aufzufrischen. „Dies gilt für Corona ebenso wie die jährliche Grippeschutzimpfung, die – wie jedes Jahr – ab Herbst zur Verfügung stehen wird,“ ergänzt Dr. Frederic William.
„Gerade für ältere und vorerkrankte Menschen rate ich, neben der erneuten, vom RKI empfohlenen Coronaschutzimpfung, dringend zu einer Grippeschutzimpfung im Herbst. Diese ist bei allen Haus- und Betriebsärzten erhältlich,“ fasst auch Versorgungsarzt Dr. Christian Günzel die Bedenken aller zusammen. Besonders für Personen über 60, vulnerable Gruppen und deren Kontaktpersonen ist die Auffrischung der Corona Impfung nach sechs Monaten dringend empfohlen. „Wir alle können uns an die Situation im letzten Jahr erinnern, als plötzlich alle im November die Auffrischungsimpfung wollten,“ ergänzt Landrat Stefan Löwl und appelliert: „Wir müssen alle jetzt daran arbeiten, die Situation zu entzerren und bereits die Auffrischungsimpfungen niederschwellig anzubieten“. Gerade für Risikogruppen ist es angeraten, bereits nach sechs Monaten aufzufrischen. Nach Meinung der Ärzte ist es auch nicht ratsam, auf einen neuen, vermeintlich besseren Impfstoff im Herbst zu warten und damit sein Risiko einer Infektion bzw. schweren Erkrankung jetzt zu steigern. Denn, auch das fassen die Expertinnen zusammen, jede Infektion mit dem Corona-Virus vergrößert die Gefahr einer LongCovid Erkrankung
Alle Mitglieder der Koordinierungsgruppe Pandemie fordern außerdem, dass spätestens zum Herbst die Möglichkeit zur Anordnung einer Maskenpflicht in Innenräumen zurückkommt. „Aktuell können wir als Behörde nur appellieren, haben jedoch keinerlei rechtliche Reaktionsmöglichkeiten,“ stellt Landrat Stefan Löwl mit Blick auf das aktuelle Infektionsschutzgesetz klar. Auch ein engmaschiges Testen in Schulen und Tageseinrichtungen ist ein wichtiger Baustein die Pandemie zu kontrollieren, welcher nicht aus der Hand gegeben werden darf. Versorgungsarzt Dr Christian Günzel zeigt den Weg auf: „Wir müssen jetzt aktiv werden und die Chancen nutzen, die uns gegeben sind: Start der vierten Impfung, niederschwelliges und vor allem kostenloses Testen und Masken sind die Maßnahmen, welche es zu nutzen gilt. So nehmen wir uns alle in die Verantwortung, die Pandemie weiter zu kontrollieren und das Risiko weiter einzudämmen.“